Intrada Ö1 Portrait
Ausgestrahlt am 9.1.2004
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Wolfgang Danzmayr im Gespräch mit Wolfgang Zamastil
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Wolfgang Zamastil ist Salzburger, lebt aber zur Zeit in Berlin bzw. studiert dort auch. Du bist in Salzburg am Mozarteum ausgebildet worden, also eine normale Cellistenkarriere?
So hat's begonnen, ja. Ich kam mit neun Jahren als Jungstudent an die Hochschule Mozarteum und bin dort als solcher sehr lange geblieben, habe in dieser Zeit auch zu Clemens Hagen gewechselt und wollte nach dem Abitur sofort von Salzburg weg...
Warum?
Weil Salzburg für das, was ich zu dieser Zeit vorhatte sehr wenig Möglichkeiten geboten hat. Ich wollte auf gut Glück irgendwo hin gehen, wo sich mir mehr Chancen bieten... sprich: Salzburg hat eine sehr konservative Szene, die sehr viel Wert auf den normalen, klassischen Umgang mit der Musik legt und für neuere Dinge doch relativ wenig Zugang hat oder zeigt. Deshalb wollte ich einfach weg, habe Aufnahmeprüfungen an mehreren Hochschulen in Deutschland gemacht und mich dann für Berlin entschieden.
In Salzburg hast du aber bereits die eine Schiene, die schon eine Art von Hauptschiene geworden ist – nämlich die Auseinandersetzung mit Astor Piazolla - schon gepflogen.
Ja, ich habe mit sechzehn Jahren begonnen, seine Musik von Cds herunter zu hören und für meine damals frisch gegründete Nuevo – Formation anochesido zu transkribieren. Diese Musik ist schlicht unglaublich und unterscheidet sich durch ihr frontales, wenig intellektuelles und doch faszinierendes Element von jedem anderen Musikstil.
Nach drei Jahren bin ich drauf gekommen, dass es so nicht weiter gehen kann – nur Piazolla zu spielen - und habe festgestellt, dass ich auch die Fähigkeit habe, selbst zu komponieren und hier wirksam zu werden. Über diese Tango Nuevo Schiene habe ich dann begonnen, Neue Musik zu komponieren... abseits des großen Tangobooms, der dann relativ schnell Mode geworden ist. Mir ist es immer wichtig gewesen, den Tango für mich selbst weiter zu entwickeln.
Es hat im vergangenen Jazzherbst in Salzburg eine sehr interessante Begegnung gegeben... die Linie von Django Reinhardt über Stephan Grapelli bis hin zu Benni Schmid, der sich auch auf eine unwahrscheinlich kreative und neuartige Weise mit dieser Musik auseinandergesetzt hat. Ich sehe da einen ähnlichen Zugriff bei dir, also der kreative, eigenschöpferische Umgang mit einem großen Vorbild.
Als Vorbild würde ich Astor Piazolla nicht bezeichnen. Eher eine Entdeckung dessen, was ich mir gewünscht habe, wie ich Musik machen und verstehen will... da finde ich auf einmal einen Komponisten, der Musik auf die selbe Art gesehen hat, Musik auf die selbe Art schrieb, wie ich. Trotzdem unterscheidet sich meine Musik sehr viel von Piazolla, weil ich doch genauer in Notation und Interpretation bin, es geht doch mehr in die klassische Richtung. Eher würde ich sagen, dass er ein Impulsgeber war, ein Teil von mir und von dem, was damals in Salzburg entstanden ist und was ich dann weitergeführt habe. Bei Piazolla kommen eigentlich immer wieder dieselben Dinge, der Mann hat seinen Stil und seine Wurzeln... und die liegen im traditionellen Tango. Meine Wurzeln liegen nicht im traditionellen Tango, sondern in der Klassischen Musik.
Aber Piazolla hat aus dem traditionellen Tango seine eigene Tangomusik entwickelt, und daraus entwickelt Wolfgang Zamastil wieder seine eigene Richtung.
Ja, und das sollte eigentlich der normale Gang der Musikentwicklung sein. Wenn wir z.B. in den Jazz der 50er und 60er Jahre zurückblicken, dann sehen wir, dass die damaligen Musiker auch jede Menge Einflüsse aufgenommen haben. Da finden wir brasilianische, afrikanische neue Klänge, den Tango etc. Piazolla ist damals zwischen Süd – Nordamerika und Europa hin und hergependelt, hat unglaublich viele Einflüsse aufgenommen und mit den verschiedensten Musikern zusammengearbeitet. Ich denke, über die Grenzen zu schreiten, interessiert daran zu sein, was macht ein anderer Musiker, wie denkt er, wie fühlt er, was lebt er... dadurch lernt man unglaublich viel.
Man lernt auch sehr viel dadurch, dass man ein Haydn Cellokonzert sehr perfekt spielt und viel daran übt. Nur das ist mir zuwenig.
Man lernt auch sehr viel über sich selbst.
...viel über sich selbst und man kommt vor allem erst mal auf viele peinliche Dinge drauf. Das ist gut so, man muss dann einfach sagen „da bin ich auf dem falschen Weg und muss wohl wieder zurück“. Man muss auf seine eigene Arbeit immer wieder kritisch zurückschauen, aber nicht während des kreativen Prozesses, sondern danach. In einer Entwicklung gibt es immer wieder Abschnitte und man muss diese vollenden können, damit man einen neuen beginnen kann. Erst dann sollte man kritisch zurückblicken.
Sehe ich jetzt in der Entwicklung des Wolfgang Zamastil etwas, das früher das Musikertum ausgemacht hat und heute eher noch z.B. im Jazzbereich zu finden ist, also der Musiker macht sich selbst seine Musik, nicht diese Trennung – hier Musiker und hier Komponist – sondern eine Personalunion?
Früher stand dies doch in einem ganz anderen Kontext, es gab modische Strömungen wie z.B. das Virtuosentum in der Romantik: Virtuose Cellisten schrieben eben ihre Etüden und Konzerte für sich und auch für ihre Schüler. Dies stand aber alles in einem Kontext, der mit Individualität sehr wenig zu tun gehabt hat. Natürlich gab es auch andere... ich denke jetzt an Liszt oder Debussy, mit jenen kann ich mich schon sehr identifizieren.
Weil heute ist ja im klassischen Musikbereich eine sehr starke Trennung gegeben... die meisten Musiker interpretieren.
Es ist eine sehr starke Trennung gegeben, die noch dazu durch die Eliteszene forciert wird. Diese Elite bewegt sich immer mehr weg von dem, was Musik machen bedeutet. Es gibt einen unheimlich harten Wettbewerb, die Leute üben wie die Verrückten (was ja auch gut ist) und dann entscheiden wenige Menschen über Gut und Nicht Gut, was in der Musik ja immer ein zweifelhaftes Urteil bleibt. Selbstverständlich wird ausschließlich interpretiert und sogar in diesem Bereich behandelt man ein Repertoire, das über den Expressionismus kaum hinaus reicht... im besten Fall geht es bis Schönberg oder Stravinsky, aber das ist ja längst schon keine Neue Musik mehr. Das finde ich ein bisschen traurig.
Apropos Neue Musik... wie siehst du denn sie Entwicklung der sogenannten Avantgarde?
Ich freue mich darüber, denn die Komponisten, mit denen ich in Berlin Kontakt habe – und das sind einige, die meisten älter als ich – gehen zurück, oder... ich will nicht sagen zurück, sie gehen eigentlich nach vorne zu einer guten Mischung zwischen Intellekt und dem, was Musik mit allen anderen Kunstrichtungen verbindet. Nämlich mit jenen Dingen, die man mit Intellekt nicht erklären kann. Intellekt selbst ist eine Sache, die mit wachsender Entwicklung dazukommt, allerdings ist das für mich auch nur ein Aufsatz... ich meine ich wachse ja selbst auch, komponiere komplizierter... man wächst da hinein und will irgendwann nicht mehr so einfach schreiben. Die gute Musik ist aber nicht auf den Intellekt zurückzuführen, sie tritt in allen Sparten auf, im Pop wie in der Neuen Musik. Das bedeutet, dass all diese Stile, und auch alle Kunstrichtungen durch etwas verbunden sind, das mir niemand erklären kann. Keiner von diesen Philosophen oder Soziologen oder Musikwissenschaftlern kann mir das erklären. Ich frage sie dann:
„Das war doch gut, da ist etwas hinüber gekommen, oder?“
“Ja... in der Tat“
“Kannst du mir denn das erklären, was das ist... ? Du kannst doch sonst alles erklären.“
Nein, das kann er nicht. Oder sie. Das kann niemand erklären. Es geht so nicht. 